Es gibt Vereine, die jedes Jahr große Siege feiern und so zur Legende werden. Andere benötigen hingegen weitaus weniger: Eine – nach Möglichkeit – hundertjährige Tradition, leidenschaftliche Anhänger und ehemalige Stars. Sie sind ebenfalls Ausdruck der Größe eines Vereins und büßen auch in schwierigen Zeiten nicht an Bedeutung ein. In Brasilien gehört Atlético Mineiro, das trotz aller Höhen und Tiefen einen großartigen Ruf genießt, zu den würdigsten Vertretern dieser Gruppe.
Von der Bedeutung des Vereins zeugen alleine die mehr als 40 regionalen Titel, die der Klub in seiner über 100-jährigen Klubgeschichte gewonnen hat. Es waren aber zwei andere Titel, die ganze vier Jahrzehnte auseinander liegen, die seine Stärke auf dem Platz unter Beweis stellen sollten: der Gewinn der Brasilianischen Meisterschaft 1971 und der Sieg bei der Copa Libertadores 2013.
In den vier Jahrzehnten, die dazwischen liegen, wurde die Stärke Mineiros dennoch zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, welche Spieler das schwarz-weiß gestreifte Trikot in der Vergangenheit getragen haben und dass die zahlreichen Anhänger stets treu hinter dem Verein standen, selbst als die Rivalen die wichtigen Titel gewannen oder 2005 sogar der Abstieg in die zweite Liga besiegelt wurde.
Diese Fans zeichneten auch maßgeblich für den kontinentalen Erfolg 2013 verantwortlich, der sich wie eine Entschädigung für die Jahre der Treue und unbändigen Leidenschaft anfühlte. Der Titelgewinn bestätigte die Generation von Ronaldinho, Victor, Bernard und Jô und hob diese auf eine Stufe mit Dadá Maravilha (Held der Meistermannschaft von 1971), Nelinho, Toninho Cerezo, Éder und Reinaldo, die hauptverantwortlich waren für die Serie von regionalen Titeln, die der Verein zwischen 1970 und 1980 gewann und die den meisten Platz in den Vitrinen einnehmen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass sich der größte Schatz nicht in einer Vitrine befand, sondern auf den Tribünen saß.
Die Geburtsstunde einer Institution
Der älteste Klub des Bundesstaates Minas Gerais, Atlético Mineiro Foot Ball Club, wurde am 25. März 1908 von einer Gruppe von 22 jungen Männern gegründet. Knapp zwölf Monate später fand die erste offizielle Begegnung gegen Sport Futebol Clube statt, das mit einem überraschenden 3:0-Sieg über die damals beste Mannschaft von Belo Horizonte endete.
Sport forderte eine sofortige Revanche, musste sich aber erneut mit 0:2 geschlagen geben. Erst als das dritte Aufeinandertreffen mit 4:0 für den Neuling endete, gab sich der Rivale geschlagen. Atlético hatte sich rasch etabliert und erfreute sich mit jedem Sieg zunehmend größerer Beliebtheit.
Bald darauf wurde der Klub in Clube Atlético Mineiro umbenannt. Die Spieler sollten fortan mit schwarz-weiß gestreiften Trikots auflaufen.
Die Entstehung einer Legende
Atlético gewann im Jahr 1914 seinen ersten Titel und krönte sich im darauf folgenden Jahr zum ersten Meister des Bundesstaates Minas Gerais. Dies war jedoch kein Vorbote einer bevorstehenden Dominanz – diese Ehre wurde zunächst América Mineiro zuteil, das sich in den zehn darauf folgenden Jahren die Meisterschaft sicherte.
Atlético benötigte unbedingt einen Helden, und als Mario de Castro bei seinem Debüt im Jahr 1925 gleich ein Hattrick gelang, war die Erwartungshaltung der Fans groß, in ihm den lang ersehnten Star gefunden zu haben. Die Meistertitel der Jahre 1926 und 1927 bestätigten schließlich die Erwartungen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Atlético und América die größten Rivalen im Kampf um den Titel des Bundesstaates Minas Gerais. In den 40er-Jahren entwickelte sich jedoch zwischen Atlético und Cruzeiro eine der erbittertsten Rivalitäten Südamerikas. In diesem Duell behielt Atlético bis in die 60er-Jahre die Oberhand, ehe Raul, Wilson Piazzo, Dirceu Lopes und Tostão das Team von Cruzeiro zu einem der gefürchtetsten in ganz Brasilien machten.
Atlético antwortete mit dem Gewinn der brasilianischen Meisterschaft von 1971, der insbesondere das Verdienst seiner Stars Humberto Monteiro, Ângelo, Humberto Ramos, Oldair und allen voran Dadá war. Damals durchlebte der Fussball in Brasilien ein goldenes Zeitalter, zumal die Seleção mit Rivelino, Jairzinho, Tostão und Pelé gerade zum dritten Mal Weltmeister geworden war. Zum ersten Champion in der Geschichte der brasilianischen Meisterschaft krönte sich jedoch nicht der FC Santos mit Pelé, Corinthians São Paulo mit Rivelino, Botafogo mit Jairzinho oder Cruzeiro mit Tostão, sondern Atlético Mineiro.
Maßgeblichen Anteil an diesem unerwarteten Erfolg hatte der wieselflinke Angreifer Dario, der sowohl mit dem Fuß als auch per Kopf für seine Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor bekannt war. Während Dadá beim dritten Titelgewinn 1970 nur Ersatzspieler war, stahl er nur ein Jahr später allen die Schau und sicherte der von Telê Santana betreuten Mannschaft zum ersten Mal den Gewinn der brasilianischen Meisterschaft.
Kurze Zeit später sollte eine andere Generation bei Atlético glänzen. Zwischen 1976 und 1989 gewann Atlético nicht zuletzt aufgrund der starken Leistungen von João Leite, Luizinho, Nelinho, Paulo Isidoro, Toninho Cerezo, Éder und des legendären Reinaldo – dem größten Spieler des Klubs und einem der besten brasilianischen Stürmer aller Zeiten – insgesamt elf Mal die Meisterschaft des Bundesstaates. Im Endspiel um die brasilianische Meisterschaft musste sich die Mannschaft indes zwei Mal geschlagen geben: 1977 gegen São Paulo und drei Jahre später gegen Flamengo. Und es kam noch schlimmer: Viele Jahre vergingen, bis Atlético wieder an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen sollte.
Heute
Bisher brachte das neue Jahrtausend für Atlético Mineiro nur wenige Höhen. Trotz eines vielversprechenden Starts – Gewinn der Mineiro-Meisterschaft im Jahr 2000 und Einzug in das Viertelfinale der Copa Libertadores im selben Jahr – zeigte die Leistungskurve kontinuierlich nach unten. Während der Gang in die zweite Liga 2004 abgewendet werden konnte, wurde er nur ein Jahr später traurige Gewissheit. Zudem gewann der Verein sechs Jahre in Folge nicht den Titel des Bundesstaates – eine Negativserie, die es seit den 20er-Jahren nicht mehr gegeben hatte.
Die Höhen und Tiefen sollten auch in den kommenden Jahren fortbestehen – und das, obwohl 2007 der erneute Aufstieg gelang und auch die regionale Meisterschaft gewonnen wurde. Eine weitere schwierige Phase hatte der Verein 2011 zu überstehen, als erneut der Abstieg in die zweite brasilianische Liga drohte. Unter der Führung von Cuca umschiffte Atlético aber nicht nur die felsigen Klippen, sondern vollzog auch einen kompletten Kurswechsel, der zwei Jahre später im Gewinn der Copa Libertadores mündete.
Punktuelle Verstärkungen sowie die Verpflichtung von Hochkarätern wie Ronaldinho gaben dem Verein die alte Stärke zurück. Die neue Personalpolitik gipfelte im Gewinn der regionalen Meisterschaften 2012 und 2013, der brasilianischen Vizemeisterschaft und schließlich des kontinentalen Titels – und dies mit einer überragenden Offensive und dramatischen Siegen nach Elfmeterschießen gegen die Newell’s Old Boys im Halbfinale und Olimpia Asunción im Endspiel. Atlético, das zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Verein war, sollte fortan auch international Beachtung finden.
Das Stadion
Das Estadio Mineirão, eines der eindrucksvollsten Stadien Brasiliens, ist Eigentum des Bundesstaates Minas Gerais und Heimstätte von Atlético und Cruzeiro. Nach seiner Eröffnung im Jahr 1965 wurde es zwischen 2010 und 2012 für den FIFA Konföderationen-Pokal und die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014™ umfangreich saniert. Während der Umbauphase des Estadio Mineirão hat das Estádio Independência des Rivalen América für Atlético an Bedeutung gewonnen: Dort blieb der Verein 38 Spiele lang ohne Niederlage und bestritt bis auf das Endspiel praktisch alle Begegnungen der erfolgreichen Copa Libertadores 2013.